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(Neue) Ansprüche der Gesellschaft und (neue) Anforderungen an guten Ackerbau – zwei Seiten einer Medaille?

Forum Ackerbau und Arbeitskreis Junge DLG

Dr. Thomas de Witte, Agrarökonom am Thünen-Institut für Betriebswirtschaft in Braunschweig, gab eine Übersicht über die gesellschaftlichen Ansprüche an den Ackerbau im Bereich Klima- und Umweltschutz und die Auswirkungen des „Green Deal“. Das Umwelt- und Klimabewusstsein bei der Bevölkerung habe in den letzten Jahren stark zugenommen, so dass in der aktuellen Umweltbewusstseinsstudie des BMU mehr als zwei Drittel der Befragten dieses Thema als eine sehr wichtige gesellschaftliche Herausforderung einstufen. Praktisch habe sich dieser Trend im Volksbegehren Artenvielfalt in Bayern niedergeschlagen, wo die 1,8 Millionen Unterschriften des Volksbegehrens lediglich etwa 90.000 bayrischen Landwirten gegenüberstehen. Bei diesen Mehrheitsverhältnissen sei es in einer Demokratie offensichtlich, dass sich der steigende gesellschaftliche Anspruch in Gesetzesinitiativen niederschlagen werde. Für die Landwirtschaft als Gesamtsektor und landwirtschaftliche Unternehmer stelle sich in dieser Situation die Frage, ob es klug ist zu versuchen, diesen Trend aufzuhalten, oder es nicht ratsamer ist, strategisch wichtige Weichen in der Politikgestaltung und der betrieblichen Ausrichtung zu stellen. 

Dr. de Witte gab eine Übersicht über die verschiedenen EU-Strategien wie „Green Deal“, „Farm to Fork“, der Biodiversitätsstrategie und auf nationaler Ebene den Aktionsplan Insektenschutz, die sich künftig auf die deutsche Landwirtschaft auswirken werden. Der Agrarökonom stellte die politischen Anforderungen und Ziele an die Bereiche Düngung, Pflanzenschutz, Umweltschutz, Klimaschutz dar, zeigte mögliche Chancen und legte aber auch offene Fragen vor.
Beim Thema Düngung sei zum Beispiel der Referenzzeitpunkt für die Bemessung der Reduktion der N-Überschüsse noch offen. Wenn sich das Reduktionsziel auf heutige Überschüsse beziehen würde, wären die 50 Prozent Verringerung eine massive Verschärfung der bisherigen Reduktionsziele. Wenn das Reduktionsziel sich jedoch wie das bisherige Ziel der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie (max. N-Überschuss von 70 kg bis 2030) an den bisherigen Basiszeitraum 1990 ansetzt, erscheint das Ziel nicht unrealistisch. 
Die Anforderungen an den zukünftigen Pflanzen- und Umweltschutz seien hoch: Die Farm to Fork-Strategie habe zum Ziel, den Einsatz von chemischen Pestiziden bis 2030 um 50 Prozent zu verringern. Doch auch hier sind noch viele Fragen offen. Insbesondere die Messgröße, das Basisjahr, die Aggregationsebene (EU-Ebene, Staat, Einzelbetrieb). 
Darüber hinaus ergeben sich weitere Ziele bzw. Forderungen aus den anderen Strategiepapieren:

  • Umweltrisiken von Pestiziden sollen künftig stärker berücksichtigt werden.
  • Auf kleinräumiger Ebene sollen 10 Prozent der LF als Landschaftselemente (Hecken etc.) vorgehalten werden.
  • Herbizide sowie biodiversitätsschädigende Insektizide sollen in Schutzgebieten verboten werden.
  • „Refugialflächen“ könnten als Voraussetzung für die Anwendung von Breitbandherbiziden notwendig werden.
  • Ein Mindestabstand beim Pflanzenschutz zu Gewässern von 5 (begrünt) bis 10 Metern (unbegrünt) wird angestrebt.
  • Glyphosat soll ab 2023 nicht mehr anwendbar sein.

Bisher unterschätzt sind aus der Sicht von Dr. de Witte mögliche Anforderungen und Restriktionen, die sich künftig aus den Klimaschutzzielen für den landwirtschaftlichen Sektor ergeben. Das im Jahr 2019 eingeführte Klimaschutzgesetz enthält rechtsverbindliche Minderungsziele für den Sektor Landwirtschaft. Sollten diese Ziele nicht erreicht werden, ist die Politik verpflichtet, Sonderprogramme umzusetzen. Dies dürfte den bisherigen Negativerfahrungen aus der Novelle der Düngeverordnung sehr nahekommen. Vor diesem Hintergrund plädiert er dafür, die klima­bezogenen Politikinstrumente zu überprüfen und gegebenenfalls in eine effektive CO2-Bepreisung zu überführen.
Hierfür könnten sich die Voraussetzungen verbessern, da in der Farm-to-Fork-Strategie als Ziel formuliert ist, internationale CO2-Märkte und ein CO2-Grenzausgleichssystem einzuführen. Für Land- und Forstwirte könnte sich aus der CO2-Bindung ein neues Geschäftsmodell entwickeln, wenn z.B. Bewirtschaftungsmethoden zur Kohlenstoffspeicherung gefördert würden (GAP, private CO2-Zertifikate). 

Abschließend stellt Herr de Witte fest, dass im Green Deal und den weiteren Strategiepapieren alles darauf hindeutet, dass die gesellschaftlichen Anforderungen an den Ackerbau weiter ansteigen werden und es zu weiteren Einschränkungen in der Produktion kommen dürfte. Allerdings bietet das zentrale Ziel des Green Deals „Eine CO2-neutrale Wirtschaft bis 2050“ erhebliche Chancen für landwirtschaftliche Unternehmer. Wenn CO2 in der Gesamtwirtschaft künftig stärker bepreist wird, steigt die Wettbewerbsfähigkeit und damit die Nachfrage nach regenerativen Energien und Bioenergie. Dies dürfte künftig neue Geschäftsfelder eröffnen und einen positiven Einfluss auf die Agrarpreise haben. 
 

Klimawandel, Nährstoffeffizienz, die Zulassungssituation bei Pflanzenschutzmitteln, zunehmende Resistenzen sowie die schwindende gesellschaftliche Akzeptanz von chemischem Pflanzenschutz und organischer Düngung sind für Landwirt Michael Reber aus Gailenkirchen in Baden-Württemberg aktuell die größten Herausforderungen im Ackerbau. Er konstatiert der Agrarbranche zu wenig Problembewusstsein, viele würde meinen „Es ist doch alles gut so, wie es ist“. Aus vielen Strategiepapieren wie dem der DLG, des DBV oder des WLV seien zwar viele schöne Worte zu entnehmen, aber es folgten keine relevanten Handlungen. „Die Landwirtschaft als Branche hat nach wie vor auch kein Konzept, wie man mit schwarzen Schafen in der brancheninternen Kommunikation umgeht – so lange fallen Fehler einzelner immer auf alle zurück“, sagt Reber. „Wo ist das konkrete Angebot der Landwirtschaft, was wir verändern wollen bzw. wohin wir wollen?“

Kritisch sieht er besonders, dass es noch zu wenig bis keine Anpassung an die neue Dünge-VO bei vielen Betrieben gebe, wohl aus Angst, dass Erträge aufgrund insbesondere schlechter N-Effizienz zurückgehen werden. Die Erosion nehme aufgrund zunehmender Witterungsextreme zu und Schadschwellen im Pflanzenschutz würden zu wenig berücksichtigt. Für die sich rasant ändernde Situation reiche der Wissenstransfer in der landwirtschaftlichen Ausbildung nicht aus, passende Fortbildungsangebote seien rar. Teilweise gebe es auch fehlende Rücksichtnahme auf die Mitbürger bei der täglichen Arbeit auf Feld und Flur. Am schwerwiegendsten sieht er jedoch die – in der Berufsausbildung nirgends gelehrte – mangelnde Kommunikationsfähigkeit der Praktiker. Diesem Defizit gegenüber stehe aber, dass die Bürger heute immer besser informiert seien, auch wenn bei vielen Themen nicht immer fachlich richtig. Einzelne Mitbürger würden die Landwirte im Alltag sehr intensiv beobachten, so dass kleinste Fehler in der guten fachlichen Praxis mittlerweile auch von der Bevölkerung erkannt würden.
Als wichtigstes Problemfeld auf seinem eigenen Betrieb erkannte Reber, dass er sich intensiv um seine Böden kümmern müsse – „Nachhaltig ist nicht genug!“.
Er investierte in Know-how im Bereich Boden, so z.B. Bodenkurse bei Näser und Wenz sowie in den Auf- und Ausbau eines Netzwerks von Praktikern und Menschen mit Wissen zu fruchtbaren Böden. Viele Erfahrungen müssten aber nach dem Prinzip „Try and Error“ gemacht werden.
Reber musste in den vergangenen zwei Jahren feststellen, dass Fahrten mit der Pflanzenschutz-Spritze oder dem Gülletankwagen erklärungsbedürftig geworden seien. Mehr Kommunikation auf dem Feld sei gefragt.

Michael Reber nennt seine Bewirtschaftsart „Regenerative Landwirtschaft“. Hierbei gelten vier Prinzipien für einen gesunden Boden:

  • Möglichst immer lebende Wurzeln im Boden
  • Den Boden so wenig wie möglich stören
  • Den Boden immer bedeckt halten
  • Maximale Biodiversität schaffen.

Laut Reber könne die Landwirtschaft nur durch offensive Kommunikation eine hohe Akzeptanz in der Gesellschaft erreichen, und dies nicht nur in Sozialen Medien. Jede aktive Kommunikation gegenüber allen Medien werde positiv angenommen. In seinem Fall trage auch sein kommunalpolitisches Engagement zur Akzeptanz in Entscheidungsgremien bei.  Schwierigkeiten, langfristig in die Verbesserung des Bodens zu investieren, verursache aber der Bodenmarkt: Nur das Geld zähle. Bei einem Generationswechsel auf Verpächterseite werde meist sofort verkauft. Unter einer Laufzeit von Pachtverträgen von fünf Jahren machten Investitionen in den Boden jedoch kaum Sinn. 
Seit April 2019 hat Reber über 400 Teilnehmer an Einsteigerseminaren zur Bodenfruchtbarkeit geschult. – Ein Zeichen, dass viele Bäuerinnen und Bauern sich und ihre Betriebe verändern wollen.

Wolfgang Abler, Geschäftsführer der CarboCert GmbH in Bodenegg, Baden-Württemberg, stellte eine Lösung vor, wie landwirtschaftliche Betriebe mit CO2-Zertifikaten den Humusaufbau auf ihren Feldern finanziell vergütet bekommen können. Über 270 Landwirte mit 11.000 Hektar arbeiten aktuell mit seinem Unternehmen zusammen und kompensieren durch den vereinbarten und überprüften Humusaufbau auf ihren Flächen jährlich rund 50.000 Tonnen CO2. Die Firma CarboCert übernimmt dabei die Bodenprobenentnahme, die Messung der Humusgehalte als auch die Vermarktung der Zertifikate. Als Käufer von CO2-Zertifikaten stehen Unternehmen zur Verfügung, die ihren CO2-Ausstoß dadurch kompensieren möchten.

Als Landwirt kann man eine Vereinbarung zum Humusaufbauprogramm mit der CarboCert GmbH abschließen, die eine GPS-genaue Bodenprobeentnahme auf den landwirtschaftlichen Flächen zur Analyse in einem akkreditierten Labor organisiert. Zwei bis fünf Jahre nach der Anfangsuntersuchung wird eine Folgeuntersuchung durchgeführt. Dabei wird festgestellt, ob und wie viel Humus sich aufgebaut hat. Anhand einer Berechnung werden dann die Tonnen an fest im Boden gebundenem CO2 berechnet. Diese Tonnen bilden die Grundlage für die erste Ausbezahlung des Erfolgshonorars. Dabei wird ein Teil des Honorars zur Sicherung des zuvor aufgebauten Humusgehaltes einbehalten. Nach Ablauf einer weiteren Fünfjahresfrist, wird wiederum eine Bodenprobe durchgeführt. In dieser Zeit muss der Humusgehalt gleich bleiben bzw. kann weiter gesteigert werden. In diesem Fall wird das einbehaltene Erfolgshonorar ganz ausbezahlt bzw. ein weiteres Honorar für den zusätzlichen Humusaufbau ausbezahlt. Bei Humusabbau kommt das einbehaltene Erfolgshonorar nicht zur Auszahlung. Der Auszahlungspreis für ein CO2-Zertifikat beträgt pro Jahr und Hektar 30 €.

Lucas Kohl, Öko-Milchviehhalter und Öko-Marktfruchterzeuger in Gilserberg in Hessen, betonte abschließend, dass Humusaufbau zur CO2-Speicherung nicht einfach mit dem Verbleib von Biomasse auf den Ackerflächen, organische Düngung oder Kompost funktioniere. Entscheidend sei, wie eine möglichst ganzjährige Begrünung der Flächen gewährleistet werden kann. „Die eigentliche Quelle für einen nachhaltigen Humusaufbau sind der Pflanzenbewuchs und ein mit Mykorrhiza-Pilzen und Mikroorganismen belebter Boden“, so Kohl.

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